Rape Culture?

Anmerkungen zur aktuellen Debatte über Gewalt und Sexismus nach Köln, Hamburg, Kleinkleckersdorf und überall

von Konstanze Kriese

Sarrazin sollte endlich Ehrenvorsitzender der SPD werden. Der einstige Ausschlussantragsteller Gabriel hat offenbar seinen Frieden mit dem xenophoben Parteimitglied gemacht und ergänzt beflissen die Ober- und Außengrenzenträume der bayrischen Partei- und Staatsführung mit einer sozialdemokratischen Version eines staatstragenden Rassismus, indem er straffällige Asylbewerber schneller abschieben will. Nun muss er nur noch gemeinsam mit seinem Eliteideologen mit den besorgen Bürgerinnen und Bürgern verständnisvoll reden, damit die sich wieder ganz „europäisch“ oder „christlich-abendländisch“ fühlen können und alles wird gut. Sexismus, Gewalt gegen unsereFrauen, so ein vorausgesagtes Nebengleis der weltweiten globalen Migration, sind damit auch aus der Welt. Köln goes Karneval.

Viel Vertrauen in unser Strafrecht hat Gabriel offenbar nicht. Er will, wenn auch rechtsstaatlich fragwürdig, Gewalt mit Abschiebung bestrafen? Was dieser rassistische Populismus nicht beantwortet, ist, was nun die gängige Bestrafung für deutsche Staatsbürger sein soll? Ein Blick auf die Fassung und Praxis rund um den geltenden Paragraphen 177 StGB sagt alles. Der Gesetzgeber kann nur Vergewaltigungen bestrafen, wenn sich Opfer spürbar, das heißt u. a. nachweislich gewehrt haben. Widerstand muss nachgewiesen werden. Schockstarre, taktischen Verhalten im Überlebenskampf zählen nicht, nur Kratzspuren, Bisswunden, eigene Verletzungen. Äh, halt, da muss Frau eventuell noch nachweisen, dass dies nicht ihren favorisierte sexuellen Neigungen entspricht, mal etwas härter rangenommen zu werden. Was als Widerstand gegen seelisch und körperlich verletzende Gewalt bei einer Vergewaltigung gilt, bestimmen am allerwenigsten die Vergewaltigten. Wer da nicht opferlikegenug auftritt, hat gleichfalls schon verloren.

Abgesehen von dem sich derzeit aufschaukelnden Rassismus, weil die Straftaten in der Kölner Silvesternacht offenbar vorwiegend und im Kern von mittelmäßig integrierten in Köln ansässigen, gut bekannten Intensivtätern mit dunklerer Hautfarbe begangen wurden, geht mir in der nicht geführten oder erneut instrumentalisierten Gewalt gegen Frauen Debattenoch einiges anderes auf die Nerven.

Zuerst natürlich stört, dass die Debatte um Gewalt gegen Frauen, um sexualisierte Angriffe und Herabwürdigungen wie immer nicht geführt wird. Anne Wizorek (1), Antje Schrupp (2) u.v.a. haben es schon überall bekundet. Die Debatten über Sexismus und Gewalt gegen Frauen haben sich im feministischen Erfahrungshorizont längst als VerliererInnen-Debatte etabliert. Es geht zumeist nicht um die im Alltag tief sitzende Gewalt gegen Frauen und den sich da herum klebenden Sexismus, sondern um nervende „Feminismen“, „Genderwahn“, „Ausländer“, „Rache“. Es geht natürlich nie um Macht und Herrschaft, ums weltumspannende Patriarchat, sondern wenn überhaupt, um bedauerliche oder „selbstverschuldete Einzelfälle“, die denn auch noch aufgebauscht werden. Inzwischen ist das praktische und beschwiegene Ausmaß des Alltagssexismus und der Gewalt gegen Frauen mit dem Begriff der rape culture auch noch in schönste Klangfarben getaucht. Dabei handelt es sich hierbei um Barbarei und nicht um irgendeine Kultur. Aber es klingt dann nicht so zickig, so nach verletzender und tötender Gewalt und abwertendem, brutalen und alltäglichen Sexismus, den immer irgendwie die anderen tätigen, dulden oder erleben. Rape culture klingt, zumindest für mich tendenziell nach etwas, dem die moderne Fraumit einem Face von Milla Jovovich und ersatzweisem tradiertem Kniehoch schon zu begegnen weiß, wenn sie in den richtigen Alpha-Mädchen-Peergroups großgeworden ist. Wer erzählt schon gern, dass er vom wandelnden alten Herrenwitz während der Arbeit oder beim Entspannen getroffen wurde, in einer Männerrunde nah bei war, die Fassung zu verlieren, weil sie oder nicht anwesende Frauen auf Körperliches, abwertend „Weibliches“ oder auf das politische Rollenfach Muttioder Emanzereduziert wurden.

Wir könnten vielleicht von rape barbarism sprechen, wenn schon denn schon.

Sexismus und Gewalt gegen Frauen scheint der beste Stoff für Instrumentalisierungen aller Art zu sein. Kommt das Thema nackt und pur ans Licht der Welt, Gewalt gegen Frauen, so geschehen in der FRA-EU-Erhebung 2014 (3), dann interessiert es schlicht keinerlei relevante gesellschaftliche Öffentlichkeit. Dabei sprechen diese and anderes Studien eine deutliche und bedrückende Sprache. Drei FrauenpolitikerInnen wiederholen nach derartigen Veröffentlichungen in einschlägigen Pressorganen die reichlichen und lange bekannten Fakten, verweisen auf den jämmerlichen gesetzlichen oder besser gesetzlosen Umgang mit unzureichendem Schutz vor Gewalt und beklagen die Unterfinanzierung von Prävention und Opferschutz.

Und jetzt noch einmal zum Mitschreiben für alle Politikerinnen und Politiker, die gerade Regierungsverantwortung haben: Deutschland hat das „Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen, dass 2014 in Kraft getreten ist, die sogenannte Istanbulkonvention (4) bis zum heutigen Tage noch nicht einmal ratifiziert, geschweige denn ernsthafte Schritte zur Umsetzung vorgelegt. 

Die derzeitige Bundesregierung hat nur ab und an auf die Istanbulkonvention verwiesen und dass sie da nun auch mal etwas vorlegen will. Während die Kürzungen bei Frauenhäusern und Opferschutz anhalten, es keinerlei bundeseinheitliche Schutzstandard und Rechtsansprüche gibt, hat sich die Bundesregierung statt dessen lieber medienwirksam mit ihrer vorgeschlagenen Novelle zur Regelung der legalisierten Prostitution in Szene gesetzt. Herausgekommen ist ein klassischer Holzweg, eine ungeheuerliche Nebelbombe politischer Kommunikation.

Keine einzige Zwangsprostituierte hat auch nur einen Fortschritt von der neuerlich geplanten Registrierung und Überwachung. Eine Untersuchung der Prostitution in Wien ergab, dass Zwangsprostituierten immer die mit den richtigen Papieren und Registrierungen sind. Wird Zwangsprostitution trotzdem nachgewiesen, folgt nicht etwa ein Ausstiegsprogramm mit Sprachkurs, Arbeitsangebot und Aufenthaltserlaubnis. Es folgt zumeist die Abschiebung. Die Novelle des ebenso unzulänglichen Prostitutionsgesetz von 2002 dient praktisch nur der Verfolgung derer, die nicht unter den aller beschissensten Verhältnissen zur Prostitution gezwungen wurden, sondern sich nach rationalen Erwägungen für eine Broterwerb durch Prostitution selbst entschieden haben. Wegen verlogenen anhaltenden Stigmatisierungen und dem oft geplanten späteren Berufswechsel oder der Aufgabe der Nebentätigkeit neben dem Studium, der Kindererziehung oder anderer Jobs, wollen viele Prostituierte anonym bleiben. Diesem lebenspraktischen realen „Prostituiertenschutz“ rückt die Novelle der Bundesregierung zu Leibe. Überdies erschweren die neuen Gesetzesvorschläge selbstverwaltete gewerbliche Wohnungsprostitution gegenüber Modellen, die für Prostituierte faktisch eine größere Abhängigkeit von Bedingungen der Immobilienbesitzer bedeuten. Dies nur am Rande.

Also: Ein einziges Thema hat die Bundesregierung angeblich angepackt: Gewalt gegen Frauen im Sektor der Zwangsprostitution. Nur regelt sie praktisch die gewerbliche Prostitutions neu, bei der Zwangsprostitution nicht das Thema ist. Die Zwangsprostitution bleibt demnach im Ausmaß und bei mangelnder Verfolgung wie zuvor, weil sie gar nicht Gegenstand der gesetzlichen Novellierung war. 

Warum dieser kleine Exkurs? Weil wir damit schon beinahe alles abgehakt haben, was herrschende Politik einschließlich dicker Nebenschwaden bisher im Kampf gegen Gewalt gegen Frauen und Sexismus zu bieten hat. Nichts.

Zurück zur Kölner Silvesternacht und den ungeführten oder instrumentalisierten Debatten über alltägliche Gewalt gegen Frauen und Sexismus. Ich weiß nicht, wie es euch geht. Ich kann diese Figur: „Schutz von Frauen vor sexueller Gewalt“ – egal ob da jetzt auch noch „wehrlos“ stand oder nicht – kaum noch hören. Klar brauchen wir mehr Schutz, z. B. Bleiberecht für papierlose Putz-, Pflege- und Prostitutionskräfte bis zum Frauenhaus, statt des bürokratischen Wahnwitz, der da auf Frauen normalerweise wartet, zum Beispiel, wenn das Frauenhaus hinter der Landesgrenze liegt oder eben keine Papiere da sind (s. o.) 

Ja, es gibt diverse Situationen, wo Frauen (und Männer) wehrlos sind, beim abendlichen Heimweg am Stadtrand, in einer stillen Siedlung, auf dem Wege über den unübersichtlichen Hof, Parks, abgelegene Gelände und in vertrauten familiären Situationen. Am wenigstens hätte ich derartige gefahrvolle Situationen allerdings an den so mannigfach videoüberwachten Bahnhöfen, an einem Bahnhof in einer Großstadt, die gern feiert, voller Polizei, auch wenn es nur 200 gegen angeblich tausende andere Männer waren, vermutet. Konnten die vier Stunden lang nicht telefonieren und Unterstützung anfordern? War das Funknetz über Köln zusammengebrochen? Ich habe so was nirgendwo gelesen. Weshalb war dann da die Polizei eigentlich im Einsatz? Georg Restle stellt nach Veröffentlichung des Einsatzberichtes der Kölner Polizei in einem Tagesthemen-Kommentar Fragen:

„Der heute veröffentlichte Einsatzbericht der Bundespolizei scheint die schlimmsten Vorurteile zu bestätigen und wirft doch mehr Fragen auf, als er beantwortet: Warum wird ein solcher Bericht erst vier Tage später verfasst und dann an die Presse weiter geleitet? Ein Bericht, der an einigen Stellen maßlos übertreibt und plötzlich von mehreren tausend jungen Männern mit Migrationshintergrund spricht? Warum gab es vor dem Hauptbahnhof keinerlei Festnahmen und nicht mal Gefangenentransporter? Und warum um Himmels Willen reagierte die Polizeiführung nicht angemessen auf die Eskalation, auch nicht Stunden nach den ersten Hilferufen?

Ein Gewahrsam kam aufgrund von Kapazitätsproblemen nicht in Betracht, heißt es in dem Bericht. Wie bitte? Es konnte kein einzelner Krawallmacher aus dem Verkehr gezogen, kein Tatverdächtiger festgenommen werden, weil in Köln keine Zelle mehr frei war? Oder das: Polizisten in schwerer Schutzausstattung seien weder an Opfer, noch an Täter, noch an Zeugen herangekommen, weil man von herumstehenden Jugendlichen abgedrängt wurde? Ja, das ist wirklich schwer zu glauben.

Immerhin so viel steht heute fest: In Köln traf in der Silvesternacht Chaos auf Chaos. Das Chaos einer betrunkenen Männerhorde, die Frauen auf Übelste demütigte, bestahl und sexuell misshandelte, traf auf das Chaos einer Polizei, die die Lage offenbar zu keinem Zeitpunkt im Griff hatte. Und das an einem der größten Bahnhöfe Deutschlands – über zehn Stunden lang.

Der Bericht der Bundespolizei; für mich liest er sich wie ein schlechter Rechtfertigungsversuch für unterlassene Hilfeleistungen“ (5)

Offenbar hatte sich die nicht strafrelevante Schockstarre vieler Opfer an diesem Abend einmal mehr auf Polizei und Begleitungen ausgeweitet. Rape culture oder Rape Barbarism? Was haben wir in den letzten Tagen gelernt: Antanzen“ als Diebstahlablenkmanöver ist offenbar bekannt, aber noch nie ein eigenständiges Thema gewesen, geschweige denn eine strafbare Handlung. Es wird nie verfolgt, gilt als Masche. Nur es ist keine Masche, es ist Gewalt, die strafrechtliche Konsequenzen haben muss.

Ergebnis von Köln: Über unterlassene Hilfeleistung, mangelnden Schutz gegen Gewalt gegen Frauen, wo er möglich ist, nie verfolgte sexualisierte Gewalt im Zusammenhang mit Eigentumsdelikten wird geschwiegen. Über Obergrenzen, Abschiebung von Flüchtlingen, die nun irgendwie gar nichts mit der Gewalt am Kölner Bahnhof zu tun haben, über schnellere Abschiebungen von Asylbewerbern bei Straftaten wird gesprochen.

Was mich zusätzlich an der eigentlich nicht geführten Debatte stört, ist diese seltsam starre Formel der sexualisierten Gewalt“ oder noch absurder der „sexuellen Gewalt. Wir reden jetzt nicht über die Sprachformeln vom „Sex-Mob“ und „Sex-Irgendwas“, sondern um die sachlich, sensibilisierten Beschreibungen: sexualisierte Gewalt. Tatsächlich, es geht um Gewalt, um Erniedrigung und Beherrschen, um Opfer in Angst und Schrecken versetzen, handlungsunfähig machen. Es geht nicht um Sexualität. Doch Gewalt ist kein Naturereignis, die irgendwie in konstanten Mengen existiert, wie Regen, Schnee oder Sonnentage pro Jahr, weshalb die Zivilisation dagegen Schutzmechanismen zu errichten hat. Diese praktizierte Gewalt existiert, weil sie geduldet, nicht geahndet, ja sogar als Teil eines erheblich defizitären Rollenbildes von „männlicher Stärke“ akzeptiert, propagiert, anerzogen und weitgehend straffrei ausgelebt wird. 

Alle wissen das und alle wissen, dass das uralte Probleme sind, bei denen wir gemeinsam wegschauen und #Aufschrei-Kampagnen zu „da hat sich doch eine über so’n wandelnden Altherrenwitz aufgeregt“ im allgemeinen Gedächtnis verniedlichen. Am absurdesten, auch im Falle Köln, ist der Schrei nach Fakten, dass es vor Köln und vor dem 1.1.2016 schon ein gesellschaftliches Problem mit Gewalt gegen Frauen und Sexismus gegeben hätte. Munter wird da unter den Teppich gekehrt. Über die ganzen neuen Sauberfrauen und -männer, die den ethnifizierten Sexismus „gegen unsere wehrlosen Frauen“ am Bahnhof in Köln entdeckt haben, weil dort nordafrikanische aussehendeMänner zu den Tätern gehörten und nun weiter im Text mit Obergrenzen und Abschiebungen gekämpft wird, reichen tatsächlich die einfachsten Faktenchecks über Bundestagsabstimmungen. Als es Mitte der 90er Jahre nach 20jähriger Debatte um Präzisierungen zum Paragraphen 177 StGB ging, um die strafrelevante Anerkennung von Vergewaltigung in der Ehe, wurde eifrig dagegen gestimmt, zum Beispiel vom Mitglied im Menschenrechtsausschuss, Erika Steinbach.

Die nichtgeführte Sexismus-Debatte, wenn wir denn uns mal da heranwagen würden, ist von einem seltsam naturierten, biologistischen, kulturalistischen, geschlechter- und heteronormierenden Bullshit durchzogen. Nicht selten begegnet einer da, dass sexuelle Bedürfnisse von Männern offenbar aus dem Nichts mit Gewaltpotentialen verkoppelt sind, was „Biodeutsche“ allerdings durch eine mir nicht sehr geläufige Respektskultur gezähmt hätten. Frauen im Großen und Ganzen haben hingegen keine sexuellen Bedürfnisse, weshalb das auch irgendwie doppelt egal ist, dass „männlicher“ Sex and Crime immer gern gemeinsam verhandelt werden vom Film bis zur Politik. Es geht dbei nur nicht um Sex, sondern um Macht. Frauen sind bei der Produktion der gängigen Kommunikationsbilder und Worte eh in der Unterzahl mit ihren Interessen und Lebenserfahrungen. Einzige Aufgabe der Frauen in der Heterowelt, so scheint es also, ist wenigstens Einvernehmlichkeit zu signalisieren, damit die Firniss der Zivilisation schön leuchtet. Das geschieht natürlich ohne jeden gesellschaftlichen Druck von älteren Herren und ihren Witzchen, ohne lästernde Arbeitskollegen im Hinterkopf, ohne die gemiedenen oder genutzten zweideutigen Aufstiegskorridore. Immer schön lässig bleiben, aber bitte auch lasziv genug, Mädels. Wozu machen wir denn die viele schöne Werbung mit den halb nackten Frauen, sollte das Rentenalter von Frauen in öffentlich sichtbaren Positionen der Medien, nun sagen wir einfach mal auf 45 Jahre gesetzt werden? Warum haben wir den soften KiKa-Sender für die anständigen Mädchen, Barbiehäuser und das Botox für die weiblichen Scheintoten? In dieser Welt passt es gut, alles dafür zu tun, praktisch und in den Köpfen, dass Frauen per se wehrlos sind, die ewigen Opfer, die wahlweise beschütztwerden müssten, dann besser allerdings nicht von der Kölner Polizei, oder sie leiden. Und wenn Frau vermeintlich raus aus dem Rennen istschreibt sie Bücher von den Frauen, die im Alter abwesend und unsichtbar sindMan fragt sich wirklich, ob Bascha Mika (6) da ihre Brille verlegt hat.

Vor wem müssen Frauen nun beschützt werden? Vor Menschen, die man abschieben kann, weil sie Frauen als Freiwildsehen? Vor Pastoren, Onkel, Tanten, Väter, Brüdern oder schweigenden Müttern, Partnern, die sie zu Opfern machten, obwohl sie sie mehrheitlich nicht anzeigen, auch um ein Martyrium bisweilen nicht zu verlängern?

Müssen wir Frauen vor Politikerinnen und Politikern schützen, die Frauen nur in der Opferposition beschreiben, ihre Lebenslagen, von Doppelbelastung und mieser Bezahlung bis zu Erfahrungen von Gewalt und Sexismus ständig instrumentalisieren, aber niemals irgendetwas daran ändern würden?

Wie sensibel sind wir im Alltag, bei der Kindererziehung, der Diskussion um Filme, im Job, in der Debatte mit Freunden oder politisch und kulturell Gleichgesinnten. Klammern wir nicht gern die Debatte über Alltagssexismus aus, auch wenn wir ihn deutlich bemerken?

 

(2) Mensch beachte das Ressort des Beitrags. Familie. http://www.stern.de/familie/leben/koeln—was-jetzt-zu-tun-ist–ein-gastbeitrag-von-antje-schrupp-6632962.html

(4) Das Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt trat 2014 in Kraft. https://de.wikipedia.org/wiki/Übereinkommen_des_Europarats_zur_Verhütung_und_Bekämpfung_von_Gewalt_gegen_Frauen_und_häuslicher_Gewalt

(6) Bascha Mika: Mutprobe: Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden, 2014, siehe dazu auch: http://antjeschrupp.com/2014/02/20/ach-bascha-mika/

Schöne neue Welt – „Hellcome to Germany“

Ein Essay über die Menschenrechte von Sabine (aus Mädchenmannschaft)

„Hellcome“ brüllt der Mann vor dem Flüchtlingswohnheim. Willkommen in der Hölle. Er steht mit anderen auf der Straßenseite gegenüber dem Heim, einem früheren Schulhaus. Neben ihm hebt einer den Arm zum Hitlergruß. Keine Glatze, keine Springerstiefel, rosagestreiftes T-Shirt. Anwohner, Neonazis? Sie sind schwer zu unterscheiden. Der mit dem Hitlergruß wird wenig später von einem Polizisten abgeführt. Die „Bürgerinitative“, die auch von der rechtsradikalen NPD unterstützt wird, bleibt. Die Flüchtlinge auch. Vorerst. Marzahn-Hellersdorf, den 19. August 2013.

Es sind Szenen, wo die Scham sich selbst verschluckt. Und der Reflex, dies am liebsten weit von sich zu schieben, steigt, aber sie erinnern dumpf. Als meine Kusine 1992 nachts im Heim nicht mehr schlafen kann – vor lauter Angst, weil es wieder brennen könnte. Um sie zu beruhigen sagt mein Vater zu ihr, dass es meist nicht zweimal an einem Ort brennt. Da war ich sieben Jahre alt. Im selben Jahr wird das Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen von Nazis angezündet und von den AnwohnerInnen beklatscht. Brennende Bilder, grölende Nazis im Fernseher, NPD-Plakate an den Litfaßsäulen, das sind die 1990er Jahre. Unter dem damaligen Innenminister Wolfgang Schäuble wurden als Konsequenz auf die rassistischen Ausschreitungen die Asylgesetze (1992) massiv verschärft. Ja, das Boot sei voll. Nachrichtenmagazine wie der Spiegel folgen, sie titeln mit der Angst vor den Flüchtlingsströmen und der Überfremdung. Das Layout in dunkeln Farbtönen gehalten. Dabei lag die Angst ganz wo anders. Die Angst, die hatten wir, meine Kusine, meine Eltern. Und jetzt, im Jahr 2013, Berlin, Marzahn-Hellersdorf? Flüchtlinge werden durch den Hintereingang unter Polizeischutz in ihr neues Wohnheim gebracht. Sie haben Angst, um ihr Leben.

Hannah Arendts Thema sind die Flüchtlinge. Sie sind Staatenlose. Ihr Leben verdanken sie nicht ihren Menschenrechten, sondern der Mildtätigkeit derer, in deren Land sie geflohen sind. Ob sie leben oder sterben, ist reiner Zufall. Wer etwas über Menschenrechte lernen will, schaut am besten auf die Lage von Flüchtlingen. Arendts Thema ist mehr als 60 Jahre später aktueller denn je. Sie hat wenig mit der NPD zu tun. Aber viel mit Marzahn-Hellersdorf, Rostock-Lichtenhagen. Und mit dem Zweiten Deutschen Fernsehen, wo die Geschichte von Flüchtlingen, ihrer Flucht, ihrem Trauma offenbar so überflüssig sind, dass sie von einem „Aussteiger“-Nazi und einer Sarrazin-Bewunderin nachgespielt werden.

Hannah Arendt hat beschrieben, was es heißt, nur noch Mensch sein zu dürfen. Wer nur noch Mensch sein darf, ist ganz frei. Frei von Rechten und Gesetzen. Das Ergebnis ist Entfremdung. Keine Entfremdung von dem Selbst, sondern vielmehr eine Entfremdung von der Welt. Arendt beobachtet, dass die Etablierung von Nationalstaaten und ihre globale Hegemonie nur noch wenige Räume übrig gelassen haben. Räume, die nicht territorial in Nationalstaaten eingegrenzt sind. „Zuerst und vor allem findet der Raub der Menschenrechte dadurch statt, daß einem Menschen der Standort in der Welt entzogen wird, durch den allein seine Meinungen Gewicht haben und seine Handlungen Wirksamkeit.“ (Arendt 1949). Sie beschreibt ihre Erfahrungen als Staatenlose, Geflohene und als deutsche Jüdin im Dritten Reich vor dem Hintergrund der Shoa. Es sind andere Erfahrungswerte, sie zeigen jedoch einen Mechanismus auf, welcher nicht einzigartig ist. Den Prozess wie wir ausgezogen werden, Rechte verlieren, unkenntlich gemacht werden. Nämlich wie Menschen zu einem Abstraktum werden. Ihre Unsichtbarkeit, ihr Verschwinden aus dem öffentlichen Leben findet leise statt. Flüchtlingsheime werden an die Ränder der Städte verlagert, in die Industriegebiete. Der Tod der Ausgeschlossenen wird verschleiert etwa durch Neologismen wie „Dönermorde“, so dass wir nicht an unseren Bruder oder Schwester denken müssen. Der ganze Beitrag