Spaß und Frust oder der Unterschied zwischen Strategiedebatten und Machtkämpfen

von Lilja Triolet

Vorbemerkung:

Der wunderbare Ema.Li-Administrator hatte am Freitag kurzerhand volle Transparenz hergestellt, und einen Kommentar aus einer Facebookdebatte, den ich während einer Busfahrt leicht gehetzt und als unmittelbare Reaktion auf einen Post online stellte, ohne diesen Zusammenhang an anderer Stelle erneut veröffentlicht. Viraler Alltag. Ich habe analog reagiert, weil ich befand, ich brauchte da etwas länger und bat ihn, diesen zum Artikel umgearbeiteten Kommentar zu löschen. Nun erscheint der Kommentar in überdachter Form erneut.      

Mein Pankower Bezirksvorsitzender in der LINKEN tat auf Facebook kund, dass Sahra Wagenknechts Ansätze zur Flüchtlingspolitik in unserer Partei weder mehrheitsfähig sind noch sie in seinem Namen spricht. Als dann das Übliche: Müssen wir das hier auf Facebook austragen, wo es die ganze Welt erfährt und unsere Einheit und Reinheit in Gefahr gerät, geantwortet wurde, platzte mir der Kragen und ich kommentierte munter drauflos und hier jetzt in etwas geordneter und ergänzter Form.

Ich weiß gar nicht, was uns vor der nächsten Bundestagswahl eigentlich mehr schadet, die Richtungskämpfe unter den Führungskräften, das unsägliche Demokratieverständnis von Oskar Lafontaine und Sahra Wagenknecht oder letztlich die medial immer gern gefütterte Projektion all der stummen Mehrheiten, dass man eine solche Linke nicht braucht und die allgemeine Vorstellung, dass auch unsere „Basis“ da ohnehin artig wie’s Kaninchen auf die Schlange schaut – eventuell noch still leidet -, aber auf jeden Fall wieder fein und einheitlich geführt werden will. Überdies hatte ich zum Demokratieverständnis des Saarländischen Fraktionsvorsitzenden und der Fraktionsvorsitzenden des Bundestages nebenbei angemerkt, dass Demokratie keine platte Ausrichtung nach Mehrheiten ist und sie vielleicht mal darüber nachdenken sollten, warum insbesondere rechtsauslegende Parteien so leerformenhaft ganz besonders auf direkte Demokratie stehen, um die parlamentarische Demokratie mit alle ihren Ecken und Kanten anzugreifen und warum gerade auch diese Parteien so gar nichts zur Demokratie als Dialog und Bildungsveranstaltung sagen und soziale Unterschiede in demokratischen Verfahren gar nicht erst thematisieren, was sie im Übrigen mit Bertelsmann & Co innig verbindet.

Das beherzte Aufbegehren meines Bezirksvorsitzenden gegen die populistischen Kurzgriffweltbilder einer Fraktionsvorsitzenden, die die erwarteten Wahlergebnisse offenbar nur für ihren politischen Kurs auszuwerten gedachte, dieses „nicht in meinem Namen“ habe ich als den verbliebenen Bodensatz des Überlebens der LINKEN bezeichnet, als Anfang und als einer der Ausgangspunkte einer demokratischen Parteireform, die unsere Medien nutzenden Führungskräfte immer einschließt. Wenn mir von Oskar Lafontaine via Pressemeldung einmal mehr erklärt wird, dass ich die rassistische Orientierung von heutigen Protestwählerinnen und Protestwählern als „Bedürfnis“ zu verstehen hätte, kann ich mich nur „bedanken“. Das ist weder links, noch in irgendeiner Form aufklärend. Es führt letztlich nur dazu, dass die  „Verunsicherten“ sich dann mit „ihren Bedürfnissen“ über andere Menschen stellen und außerdem das passende politische Original wählen, die AfD. Die Abgabe von globaler Herrschaft, das denkbare Ende des Patriarchats berechtigt niemanden in irgendeiner Form gegen Flüchtlinge zu treten. Der auf Schwächere projizierte Hass ist letztlich praktizierter Egoismus, Chauvinismus, Rassismus und Terror vor Flüchtlingsunterkünften, Gewalt gegen Andersdenkende. Vor dieser Auseinandersetzung kann ich mich nicht abducken und dabei die, die teilen wollen (im weitesten und unmittelbarsten) Sinne auch noch in der ekelhaften „Gutmenschen“-Beschimpfung allein lassen, was auch viele an unserer Basis betrifft.

Dieses „streitet euch nicht, das stärkt nur den Klassenfeind“, was solchen klaren Ansagen, wie „nicht in meinem Namen“ offenbar noch immer reflexartig auf dem Fuße folgt, hat schon die führende SED samt ihrer DDR entbehrlich gemacht. Die PDS hatte sich, auch mit dem großen Engagement von Michael Chrapa[1], bis in die frühen 2000er Jahre ziemlich intensiv und zunehmend angstfrei mit notwendigen Parteireformen befasst. Seit 2005/7 ist das Ganze – im Zuge der rasanten Fusion – doch eher zum Stillstand gekommen: Hierarchien, Machtkämpfe, Stillhalteparolen dominieren und verhindern allerhand konkrete Politik, programmatische Erneuerung und eine kulturelle Entwicklung der Partei, die sie für diverse Menschen attraktiver machen könnte. Ich kann es einfach nicht mehr hören. Der Schlingerkurs in den Führungsspitzen und zwischen Strömungen ist doch offensichtlich. Die Machtkämpfe dominieren das „linke“ Denken. Sollen wir alle dazu schweigen? Sollen wir die Deutungshoheit ausschließlich den Medien überlassen, denen, die Macht und Einfluss in der Partei anstreben, warum auch immer oder ganz anderen in sozialen Netzwerken? Mir ist es lieber, wenn wir die Debatten führen und nicht schon wieder verängstigt auf die nächste Wahl verweisen, die wir angeblich nur vereint und geschlossen gewinnen, was zwar irgendwie stimmt, aber dass dazu Gefolgschaft gehört, ist aus einem anderen Zeitalter und aus einem anderen ideologischen Spektrum. Es soll sogar Sympathisantinnen, Freunde und fröhliche Kritikerinnen und Kritiker der Linken geben, ja selbst manch Skeptiker, denen es lieber sein soll, wenn wir uns in erhellenden Dissonanzen auseinandersetzen, statt in Grabesruhe und Führeranbetung versinken.

Wenn Auseinandersetzungen – gerade auch um Führungspersonal – nicht sexistisch, verletzend, die Person diskriminierend geführt werden, sondern sich an fragWÜRDIGEN Inhalten abarbeiten, finde ich das sinnvoll, ja sogar notwendig und wenn wir dann auch wieder über Politik streiten und nicht über Pseudostrategiedebatten. Deshalb: Zu sagen, dass die flüchtlingspolitischen Ansätze von medienstarken Parteimitgliedern wie Wagenknecht und Lafontaine nicht mehrheitsfähig sind, ist tatsächlich nötig, denn sollten sie mehrheitsfähig sein, ist meines Erachtens DIE LINKE programmatisch, politisch und faktisch erledigt und hätte ganz nebenbei so Einiges aus ihre eigene Geschichte entsorgt.

Soweit Teil 1 des wiedergekehrten Kommentars.

Nun habe ich am Wochenende, wie viele andere, über die „Bedürfnisse“, die die Linken doch nicht einfach rechts liegen lassen sollten, weiter nachgedacht und dabei fiel mir ein Aufsatz von Micha Brumlik[2] aus dem letzten Heft der „Blätter“ in die Hände, in dem er abschließend schreibt:

„Indes: Gerade weil die Theorien der identitären Bewegung erhebliche Schnittmengen mit linken Ansichten und Haltungen zu Kapitalismus, Globalisierung, Hegemonie der USA, Digitalisierung und Kulturindustrie aufweisen, dürfte es unumgänglich sein, demgegenüber – im Sinne der Aufklärung – das linke Projekt als ein menschheitliches, universalistisches zu rekonzipieren und sich darüber klar zu werden, dass heute, morgen und übermorgen eine linke Politik sich nicht nur um Europa, sondern um die Welt als Ganzes zu kümmern hat – der Internationalismus der Linken mithin seine Bewährung in Theorie und Praxis noch vor sich hat.“

So erhellend Brumliks sperriger Artikel ist, so ist das vom ihm skizzierte krude Selbstverständnis linken Denkens, was er da im letzten Abschnitt zusammenfasst, selbst ein enormes Problem. Und genau das bemerken wir gerade in den aktuellen Auseinandersetzungen. Das gilt auch schon länger quer durch viele Parteien und eben auch bei den Linken.

Bei der von Brumliks geforderten Bewährungsprobe für ein globales Denken, für europäische Politikansätze ist doch letztlich ernsthaft zu fragen, ob Antiamerikanismus, nationale Souveränitätsblasen, ein anhaltendes Unverständnis des digitalen Wandels und von massenkulturellen Ausdrucksformen, sowie die von ihm nicht erwähnte Ignoranz gegenüber Veränderungen und damit verbundenen Ausdifferenzierungen in Wertorientierungen und Lebensweisen überhaupt linkes (oder nennt es wie es wollt, aufgeklärtes, humanistisches, offenes) Denken sein kann.

Wenn mir aktuell die Ausrichtung an „Bedürfnissen“, die sich vom dumpfem Hass gegen Schwächere bis zum Anzünden von Flüchtlingsunterkünften äußern, von Drohungen gegen ehemalige Parteimitglieder der AfD, wie Henkel, bis zur Hetze gegen und zur Diskriminierung von Alleinerziehenden und diversen Lebensweisen reichen und dieser ganze tendenziell gewalttätige Brei als die „Ängste der kleinen Leute“ oder „des Familienvaters“ (offenbar versus Fremdarbeiters) schlussendlich als Bezugspunkt linker Politik anempfohlen wird, dann ist das nichts als ein beharrliches Schweigen über gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Und wenn mir diese auseinandersetzungsfrei bleibende Orientierung auch noch als linke Strategiedebatte verkauft wird, dann sage ich ganz klar, mit Strategiedebatten hat das absolut nicht zu tun.

Die Substanz dieses Denkansatzes fußt weder auf libertärem, offenen, sozialdemokratischen oder demokratisch sozialistischen Denken. Dieser Ansatz ist im besten Sinne nicht einmal wertkonservativ wegen meiner sogar im christlich abendländischen Sinne. Ich kann gar nicht verstehen, wie man über Aufrufe zum Umsturz, zur Einschüchterung von Journalistinnen und Journalisten und Andersdenkenden einfach hinwegsehen soll? Der Ansatz hat derart viele blinde Flecken, sowohl regional, wie global, dass er als Denkansatz für linke Politik schlicht nicht taugt. Das Ganze, was da von Wagenknecht und Lafontaine vorgetragen wird, ist letztlich auch keine Strategie-, sondern eine antidemokratische Macht- und Gefolgschaftsdebatte, denn um welche konkreten politischen Projekte geht es denn nun, „hinter denen“ sich die Angesprochenen, „Bedürftigen“ und „Ängstlichen“ versammeln sollen? Ist das noch in irgendeinem Dialog zu ermitteln oder geht es um mein Auto, mein Haus, „meine Frau“ usw…?

Jetzt werden ständig diese Sozialpakete a la Gabriel diskutiert, die schon vor der unbewältigten Flüchtlingspolitik hätten durchgesetzt werden müssen. Eine solche verkürzte Antwort auf die soziale Frage, die auf den Wettstreit der besseren Beglückungsangebote der Herrschenden hinausläuft, ist doch nun seit Jahren sichtbar, völlig untauglich, eine zerbröselte, missbrauchte und umkämpfte demokratische Debatte überhaupt nur ansatzweise erfolgreich als Linke wieder aufzunehmen.

Ich teile an keiner Stelle diesen Zugang von Wagenknecht und Lafontaine, er würde nur die Faulheit der Linken befördern, einmal mehr nicht aus dem Knick zu kommen und interessante Politik anzubieten. Wie oft sollen die bitteren Gesänge denn nun noch geschichtlich aufgeführt werden, in denen frei nach dem 18. Brumaire gesungen wird. „Das Volk ist wieder mal der Lage nicht gewachsen.“ Letztlich schwächt dieser Denkansatz inhaltlich und faktisch selbstdenkende Menschen, was sicherlich viele freut, für andere bequem ist. Mich ärgert das. Sollte er in der linken Partei, in der ich Mitglied bin, mehrheitsfähig werden, dann brauche ich diese Partei auch nicht mehr. Es soll auch andere[3] geben, die mitdenken können.

[1] https://www.rosalux.de/publication/21437/im-gedenken-an-michael-chrapa-sein-hundertfach-begonnenes.html

[2] https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2016/maerz/das-alte-denken-der-neuen-rechten

[3] http://www.spiegel.de/kultur/gesellschaft/s-p-o-n-der-kritiker-staerke-und-ordnung-egal-wie-a-1083037.html

Wahlkampf a la Wagenknecht

wageDas Interview der Sahra Wagenknecht zu Flüchtlingen kommt, wie immer ihre „nationalbolschewistischen“ Ausführungen, zur Unzeit.

In Berlin tagt gerade der Landesparteitag mit der Annahme des Landeswahlprogrammes für September 2016 und für den vorher stattfindenden Wahlkampfes. Morgen, am Super-Sunday, finden in drei Bundesländer Landtagswahlen statt, wo man, zumindest alle demokratisch denkenden Menschen, einen Einzug der AfD in die Parlamente verhindern will oder ihre prognostizierten Prozente reduzieren möchte.

Überall kämpft auch die Linke um bestmögliche Ergebnisse. In Reinland-Pfalz ist man bei indiskutablen 3% stecken geblieben, wirkt sehr marginal in der Lebenswirklichkeit des Landes im Westen. Im Ländle stockt man bei 4% und wäre damit, wieder nicht, im Landesparlament vertreten. Da haben Bernd Riexinger als Parteivorsitzender und Spitzenkandidat, sowie die mit viel Trara gepimpte Werbekampagne „FeelTheBernd“ des FDS Baden-Württemberg zumindest bisher nicht viel für ein besseres Ergebnis beigetragen.

Wulf Gallert kämpft nun schon das dritte Mal um die Staatskanzlei in Magdeburg. Er wird es auch dieses Mal nicht schaffen, obwohl er sogar als Frauenversteher in den Wahlkampf ging. Er wird der CDU wieder den Vortritt überlassen müssen.

Wer nun gehofft hat, die Bundestagsfraktion würde offensive Wahlkampfhilfe leisten, sieht sich getäuscht. Was ist ein Papier zur Unterstützung der Flüchtlinge wert, wenn zeitgleich die Fraktionsvorsitzende ganz andere und konträre Töne anschlägt? Was sind die reflexartigen Empörungen und Unmutsäußerungen von Fraktionsmitliedern und anderen hoch angestellten Politiker wert, wenn die Außendarstellung der Partei von Sahra Wagenknecht und ihrer nationalistischen Denke dominiert wird. Ist die Zeit nach einer personellen Distanzierung nicht reif genug?

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via Torsun Burkhardt

Das Paralleluniversum einer Wagenknecht (und eines Lafontaine und einiger Anderer) werden weiterhin emanzipatorische, empathische und aufgeklärte Leute von einer Mitarbeit bei den Linken abhalten. Da wird es nichts helfen, dass ganz ganz viele tolle Leute hier zu Gange sind.

Immer noch stellt sich immer wieder die Frage, was den Reformer bewogen haben könnte, eben Bartsch und Wagenknecht als Fraktionsvorsitzende zuzulassen. War damals die Soljanka schlecht oder wurden einfach zuviel Wodka gereicht, um sich auf diesen Deal eingelassen zu haben?

Die Quittung bekommen die Mitglieder und Sympathisanten der Linkspartei jetzt. Die Vorsitzende der Linksfraktion in Deutschen Bundestag macht kurz vor der Wahl in drei Bundesländer Wahlkampf für die AfD.

 

„Erste Überlegungen zu Flucht, Fluchtursachen und linken Antworten“

Die PK von Wagenknecht und Bartsch wird nicht so einfach hingenommen. Berechtigte Kritik findet man bei Stefan Liebich, Matthias Höhn, Klaus Lederer und Anderen, die sich mit dem Rechtspopulismus der Fraktionschefs auseinandersetzen, ohne sie direkt an die Personen zu richten.

…und es gibt den (einstimmigen) Beschluss des Parteivorstandes vom 12. Dezember 2015

Asyl ist ein Grundrecht und darf weder durch Obergrenzen noch durch Kontingente eingeschränkt werden. Diese Forderung, die von Rechts gestellt wurde und inzwischen von CSU/CDU und leider auch von der SPD übernommen wurde, lehnt DIE LINKE entschieden ab! Die Linke will die Freizügigkeit von Menschen garantieren. Gerechtigkeit lässt sich nicht durch Kontingente sondern durch eine faire Verteilung von Kosten in der EU erzielen, die die Zahl der aufgenommen Flüchtlinge sowie die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit berücksichtigt. Statt die Schwächsten gegeneinander auszuspielen wollen wir Reichtum in Deutschland und Europa besteuern und die Steuerflucht der Reichen unterbinden.

Und es gibt schon weitergehende Überlegungen, Fragestellungen und versuchte Antworten, die Viele in der Partei von der Fraktionsspitze erwartet hätten und die in der oben genannte PK nicht zu finden sind. Aber sie kommt, in diesem Fall vom Berliner Ko-Kreis-Mitglied Uwe Schwarz:

Ich halte mich jetzt nicht mit Haushaltsplänen, sozialem Wohnungsbau und Mindestlohn auf. So etwas tut keinem weh und lenkt bloß von den wahren Herausforderungen des „Flüchtlingsproblems“ ab. Linke müssen die schwierigeren Fragen stellen (und versuchen, sie zu beantworten).

Was sofort gebraucht wird:
1. legale Einreisemöglichkeiten für Geflohene und Vertriebene,
2. eine drastische Aufstockung der Mittel für die lokale Flüchtlingshilfe (das geht alle wohlhabenden Länder an, also auch Russland und China, die mit Überweisungen an das UNHCR sehr knausrig sind),
3. eine Außenpolitik, die weder die „falsche Stabilität“ der Despoten von Assad über das Haus Saud bis zu al-Sisi unterstützt noch überall mit Geheimdiensten und Bomben herumpfuscht.

Darüber dürfte unter Linken weitgehend Einigkeit herzustellen sein. Strittige Fragen sind z.B:
1. Gegen den IS und seine Ableger (Boko Haram usw.) wird eine internationale Koalition mit dem Widerstand vor Ort benötigt. Wie weit kann und darf eine solche Koalition gehen?
2. Kann Assads Regime Teil einer solchen Koalition sein?

Hingegen gibt es nicht einmal Ansätze von Ideen dafür, wie Libyen und Somalia befriedet werden können und wie das Leben in Eritrea erträglich gemacht werden kann. („Kein Waffenexport!“ ist kein Konzept, sondern eine Ausrede.)
Währenddessen flackern schon die nächsten Konflikte in den wirtschaftlich und ökologisch ausgelaugten Ländern südlich des Mittelmeers auf: Jemen, ZAR, Südsudan, die von Boko Haram terrorisierte Sahel-Zone.
Im Jemen gibt es wahrscheinlich in 20 Jahren kein trinkbares Grundwasser mehr; im Iran sieht es nicht viel besser aus.
Albanien und seine Anrainerstaaten sind nur oberflächlich befriedet; gleiches gilt für Bosnien. Gleichzeitig verschärft sich die Diskriminierung von Roma im größten Teil ihres Siedlungsgebiets.
Noch kann niemand sagen, ob der Ukraine-Konflikt zu einem Kalten Frieden einfrieren wird. Dass die Not in der Ukraine zunehmen wird, kann hingegen als sicher gelten.

Fluchtbewegungen und Armutsmigration werden uns also erhalten bleiben; sie werden sogar noch zunehmen. Da werden noch ganz andere Aufgaben auf Europa zukommen, wenn es nicht einfach eine Mauer à la Nordkorea errichten will, die es vom ungeliebten Teil der Welt trennt:
1. Übergang von der hergebrachten nachholenden „Entwicklungshilfe von oben“ und der stets zu spät kommenden Katastrophenhilfe zu einer „Hilfe zur Selbsthilfe von unten“ (womit wir bei Emanzipation und Selbstermächtigung wären)
2. Vertiefung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit auch zum kurzfristigen „Nachteil“ der reicheren Seite
3. Ein neues Verständnis dessen, was „Bevölkerung“ ist. Das hieße, sich sowohl auf die sogenannte Überalterung der wohlhabenden Länder als auch auf die neuen Wanderungsbewegungen (die gar nicht mehr so neu sind) einzulassen. Davon ist bspw. das Bildungswesen in den meisten europäischen Ländern noch weit entfernt, auch in Deutschland.

Wer angesichts dieser wachsenden Aufgaben jetzt schon von Überforderung, Kontingenten usw. spricht und Einwandernde gegen Einheimische ausspielt, der ist bestenfalls ein Kapitulant.

Wagenknecht überrascht mit rechtspopulistischen Aussagen: „Wer Gastrecht missbraucht hat Gastrecht verwirkt.“

Es vergeht kaum ein Tag, wo man nicht die Scherben zertrümmerter linker Grundwerte und Überzeugungen, systematisch zerstört von Oskar Lafontaine, Sahra Wagenknecht, Dieter Dehm und Anderen, aufzusammeln versucht. Wie soll eine linke Partei glaubhaft sein, wenn sie sogar in der Asylfrage Pegida, der AfD, der CSU, in Teilen der CDU und der SPD folgt?

Das Ko-Kreis-Mitglied der Ema.Li Bund, Peter Laskowski hat zu den neusten Ausführungen der von Sahra Wagenknecht augenscheinlich dominierten Linksfraktion eine Stellungnahme abgegeben, die wir hiermit veröffentlichen:

„Wer Gastrecht missbraucht hat Gastrecht verwirkt.“ ist populistische Kackscheiße, aber niemals links!

„Wer Gastrecht missbraucht hat Gastrecht verwirkt.“ [1] teilte die Genossin Wagenknecht auf der Pressekonferenz der Bundestagsfraktion der Linken am 11. Januar 2015 der verdutzten Öffentlichkeit mit. Erschreckender, als die die Tatsache, dass sie, wortgleich mit Politikern von Union [2] und SPD für die Doppelbestrafung durch Abschiebungen eintritt, ist, dass sie sich an dem Wettbewerb des Populismus über das „Härter gegenüber Flüchtlingen“ beteiligt. Asyl ist kein Gastrecht, Flüchtlinge sind keine Touristen, die am Ende ihres Urlaubs in ein gesittetes Heimatland zurückkehren, wie der Satz suggerieren möchte. Mallorcaurlaub ist etwas anderes als Flucht. .

Grundsätzlich gilt: Wenn jemand ein Verbrechen begeht, dann muss er gerichtlich verfolgt und verurteilt werden. Aber ich sehe da, im Gegensatz zur Genossin Wagenknecht, einfach keine Verbindung zu dem Aufenthaltsrecht dieser Person.
Er kann doch hier im Gefängnis oder sonst wo rehabilitiert werden und dann ein Mitglied unserer Gesellschaft sein. Wir werfen doch auch nicht jeden deutschen Staatsbürger aus dem Land, nur weil ein Verbrechen begeht.

Die Genossen, die populistische Forderungen wie „Wer Gastrecht missbraucht hat Gastrecht verwirkt.“ nachbeten, mögen doch bitte die Frage beantworten: Was ist mit Flüchtlingen, die aus dem Krieg geflohen sind? Wie wollen sie mit ihnen umgehen? Wenn wir sie aufgrund eines Verbrechens abschieben, ist das so ähnlich wie die Todesstrafe. Populistisch „Wer Gastrecht missbraucht hat Gastrecht verwirkt.“ nachbeten bedeutet auch, sich den Konsequenzen des Postulats zu stellen.

Prinzipiell gilt das Strafvollzugsgesetz und damit das Resozialisierungsgebot für ausländische Inhaftierte genauso wie für die deutschen Mitgefangenen. Aber nur prinzipiell. Den aufgrund der drohenden Abschiebung nach dem Motto „Wer Gastrecht missbraucht hat Gastrecht verwirkt.“ scheiden viele Maßnahmen für Ausländer aus.
Juristisch sind die, die „Wer Gastrecht missbraucht hat Gastrecht verwirkt.“ postulierenden in Deutschland auf der sicheren Seite.
Das geltende deutsche Recht betont sogar extra, dass die Ausweisung, wie die ihr folgende Abschiebung keine Strafe sei, sondern eine ordnungsrechtliche Maßnahme. So auch das Bundesverfassungsgericht.

Diese Rechtsauffassung ignoriert die einschneidenden menschlichen Folgen von Ausweisung oder Abschiebung und statuiert die Abschiebung als Verwaltungsakt.
Auf diese Weise muss man zwei unbequeme Frage nicht stellen:
Zum einen diejenige, ob es sich bei der Abschiebung nicht um eine doppelte Bestrafung des ausländische Straftäters handelt, der ja vorher schon inhaftiert war?
Zum anderen stellt sich die Frage, ob man nicht die im Grundgesetz verbürgte Gleichheit vor dem Gesetz verletzt, wenn man ausländische Straftäter nach der Haft abschiebt, während ihre deutschen straffälligen Altersgenossen nur eine Haftstrafe absitzen müssen.

Für die Linke muss gelten, die Frage der Ausweisung als Repressionsmittel gegenüber straffällig gewordenen Ausländern politisch zu diskutieren.

Dabei muss die Frage der Freiheits- und Bürgerrechte im Vordergrund stehen. Eine Linke muss auf die Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit der Doppelbestrafung hinweisen und sie bekämpfen und nicht in den Wettbewerb des schnellsten Abschiebens von straffällig gewordenen Ausländer eintreten.
Durch das Auseinanderreißen von Ehepaaren und Familien von Straffällig gewordenen Ausländern werden völlig Unschuldige getroffen. „Wer Gastrecht missbraucht hat Gastrecht verwirkt.“ bedeutet, das Ehen zerstört, Lebenslinien zerrissen, Kindern der Vater/der Mutter genommen werden. Das ist nicht links!

Während einem deutschen Straftäter nach Verbüßung seiner Strafe alle Anstrengungen einer Resozialisierung zuteil werden und die Verurteilung nach Zeitablauf aus Führungszeugnis und Zentralregister gelöscht wird, wird der nichtdeutsche Täter durch Entzug des Aufenthaltsrechts für immer bestraft. Das ist nicht links!

Wer „Wer Gastrecht missbraucht hat Gastrecht verwirkt.“ nachbetet, ohne die Frage nach dem Sinn des Ganzen und den Folgen für die Betroffenen zu stellen betreibt eine populistische Politik, aber keine linke Politik.

[1] Sahra Wagenkecht, Dietmar Bartsch, DIE LINKE: Sozialer Aufbruch zu mehr Gerechtigkeit und Frieden https://www.youtube.com/watch?v=R0EiaYfPA-s&feature=youtu.be
[2] „Gastrecht verwirkt“, http://www.sueddeutsche.de/…/politische-konsequenzen-koalit…

Wagenknecht/Bartsch: Strömungsikonen am Ziel

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Bild von: Mao21-Netzwerk für Maoismus und Kulturrevolution

Ihm konnte kaum jemand das Wasser reichen. Naturtalent Gysi verlässt die große Bühne, um aus der zweiten Reihe beobachten zu können, wie sich seine Nachfolger in den zu großen Fußabdrücken verirren werden. Zumal sie auch, wie die gesamte Fraktion, dermaßen unterschiedlich gestrickt sind, dass Reibungen vorprogrammiert sind.

Nicht mal Gysi hatte es geschafft, die Fraktion so zu einen, dass es auf eine konstante, kontinuierliche und konzentrierte Arbeit hinaus lief. Zu oft mussten disziplinarische Ordnungsrufe herhalten, um vor allen Dingen die Fettnäpfchen-Abteilung im Zaum zu halten. Gegenseitiger Hass, unterschiedliche Grundauffassungen in vielen, vor allen außenpolitischen Fragen, auseinander liegende Vorstellungen in Sachen Kommunikation und Methodik und kulturelle Heterogenität überlagerten das nötige politische Vertrauen innerhalb der Fraktion. Ein Tiefpunkt waren sicher Gysis Hilferuf in Göttingen. Später wurde er sogar von Fraktionsmitgliedern bestellten Antisemiten bis aufs Klo verfolgt.

Nun sollen es die Beiden richten. Eine Chance haben sie sicher verdient. Sie verkörpern immerhin diese ganze Unterschiedlichkeit der Linkspartei, den viel beschworenen Pluralismus. Sie sind die Gesichter der gegensätzlichen Lager und können auf ihre jeweiligen Groupies verweisen. Irgendwie symbolisieren sie das Patt der innerparteilichen Strömungsarithmetik.

Mit einer genauen Arbeitsteilung und Rollenzuweisung könnte es klappen. Wagenknecht erweitert bei ihren befürchtet inflationären Auftritten in den Talkshows der Republik ihr Vokabular und ihre Textfragmente, die sich bisher fast ausschließlich aus einem tiefempfundenen und fundamentalistischen Antikapitalismus bedienen. Sie muss sich den Themen der Zeit öffnen, in dem sie ihre autistisch anmutende Starre und Unnahbarkeit gegenüber eigenen Genossen, aber auch der Öffentlichkeit aufgibt. Eine bisher nicht gesehene Eigenschaft der Moderation ist gefragt.

Bartsch ist der akribische Arbeiter mit dem Charme eines Versicherungsvertreters. Das hat er schon zu PDS-Zeiten bewiesen. Sein Einfluss auf die Fraktion wird man in der Quantität sehen. Er kann moderieren, ihm ist das Bemühen um Konsens und Kompromisse zuzutrauen. Gerade bei den Fundis muss er aber um seine Glaubwürdigkeit kämpfen und das festgefahrene Feindbild demontieren. Wenn er nicht zuviel zerschlagenden Porzellan seiner Co-Chefin auffegen muss, könnte ihm das gelingen. In Sachen Ausstrahlung ist sicher noch Luft nach oben.

Wie sich beide vertragen, kann ich mir bisher gar nicht vorstellen. Wie ein so bunter Haufen, wie die Linksfraktion auf Linie gebracht werden soll, noch weniger. Die unterschiedliche Sichtweise zu Nahost wird ein unbedingt zu vermeidendes Sprengstoffthema bleiben. Auslandseinsätze der Bundeswehr sind nicht oder ungenügend ausdiskutiert. Das außenpolitische Profil der Bundestagsfraktion ist völlig unzureichend geschärft. Sogar bei der Flüchtlingsfrage ist man sich nicht einig.

Das man zu Hartz IV, Datenschutz, innerer Sicherheit und Mindestlohn eindeutige Positionen vertritt, können die Neuen auf der Habenseite verbuchen. Das wird den Auftritten der Fraktionschefs im Bundestag helfen, klare Kante gegenüber der Regierung zu zeigen. Und das müssen sie, um als Opposition überhaupt wahr genommen zu werden.

Zum Glück steht eine Regierungsfähigkeit der Linken im Bund nicht auf der Agenda. Gerade da sind die unterschiedlichen Positionen nicht so ohne Weiteres glatt zu bügeln. Außerdem sollte man sich im Wettbewerb mit den Grünen um die Oppositionsführerschaft nicht nur nicht die Butter vom Brot, sondern auch die Themen und Angriffsrhetorik nehmen lassen. Da hatte Gysi in seiner Einmaligkeit relativ leichtes Spiel gehabt. Wagenknecht und Bartsch müssen da noch üben.

Ich mag Beide nicht, dennoch hatten wir kaum eine andere Wahl. Es fehlt an qualifiziertem politischen Personal in allen Parteien, die auch gewillt sind, Verantwortung zu übernehmen, die weite Schichten der Bevölkerung mit ihrer Ausstrahlung, mit ihrer Haltung und mit ihrem Instinkt überzeugen können. Es sind zu viele mittelmäßige bis unterirdische Politikerattrappen in verantwortungsvollen Positionen unterwegs. Sowas wie Gysi passiert wahrscheinlich nur alle hundert Jahre.

Es bleibt zu hoffen, dass es die Neuen gut machen. Der Politikerverdrossenheit etwas entgegen zu setzen, gleichzeitig linke Politik nicht zu verraten und der Partei einen wertvollen Beitrag im Kampf um Stimmen und Argumente in dieser Gesellschaft zu erbringen, sind nur einige der Mammutaufgaben, die Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch zu meistern haben. Viel Glück dabei. Wir werden es brauchen. (RW)